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    Wandbild-Eröffnungsrede (Auszug, sinngemäß)
    Professor Georg Kiefer

    13.07.2001, Rollberg, Neukölln

    Es ist immer schwierig, eine Eröffnungsrede zu halten - weil dies etwas Ritualhaftes hat - aber es gehört eigentlich dazu, weil erwartet wird, dass eine große Leistung auch gewürdigt wird. Ein anderes Problem bei solchen Reden ist, dass man nie genau weiß, wer einem zuhört und wer was hört, wenn man redet.

    Ich möchte, weil ich denke, dass es diesem Bild und dem Gesamtwerk auch sehr zuträglich ist, ganz kurz zu einer wichtigen Person etwas sagen. Ich beginne mit einem nur sinngemäß wiedergegebenen Zitat - es war vor vielen Jahren, da schrieb einer relativ junger Mann: 'Die Menschen trachten nur nach ihrem Eigennutz. Ich kenne aber ein Land, in diesem gehört allen alles und wenn die Speicher voll sind, vertragen sich alle Menschen und alle sind glücklich'. Der Autor dieser Zeilen ist Thomas Morus, 1496 geboren. Er war ausgebildeter Jurist und wurde mit 25 Jahren Parlamentarier in der parlamentarischen Monarchie in England. Er wurde 1550 Lordkanzler unter Heinrich dem Achten. Heinrich VIII wollte in England den Absolutismus einführen, d. h. er wollte zum Gottkönig werden. Thomas Morus hat die betreffende Akte, mit der sich Heinrich VIII zum Gottkönig machen wollte, nicht unterschrieben. Er wurde daraufhin entlassen, ihm wurde der Prozess gemacht und drei Jahre später wurde er enthauptet. Sein Haupt wurde auf der Themse-Brücke auf einem Stecken aufgestellt, damit niemand wieder auf den Gedanken kommen könnte, sich gegen ein Königreich aufzulehnen.
    In den Jahren davor, als 36 Jähriger hat sich Thomas Morus nach Flandern begeben - zu seinem Freund Erasmus von Rotterdam. Beide haben viel diskutiert und sehr schöne Bücher geschrieben. Thomas Morus hatte damals die Idee - es müßte eine Gesellschaft geben, in der Gerechtigkeit und Gleichheit die tragenden Elemente des Zusammenlebens sind - weil nur so für ihn eine kommunistische Gemeinschaft entstehen kann. Für dieses Vorhaben hat er den Begriff UTOPIA geprägt. Genau in diesem Kontext hat Carlos angefangen, an ein so großes Werk zu denken.

    Nun haben sie hier das längste Wandbild Europas. Es erinnert an die Berliner Mauer, von der in der Nähe noch ein längeres Stück steht. Der Unterschied ist jedoch - die Berliner Mauer war zerlegbar und konnte verkauft werden. Das ist bei den Wandbildern nicht möglich, da es ein zusammenhängendes Werk ist - man kann die Häuser nicht abtragen und verkaufen.

    Als ich hierher gekommen bin, habe ich nur gestaunt. Gestaunt über den Überschuss an Optimismus, den Carlos haben muß, da man ansonsten ein solches Projekt nie anfangen kann. Gestaunt haben ich auch über das Durchhaltevermögen - nicht nur von Ihm, sondern auch von den Jugendlichen und den Kindern. Man braucht einige Erfahrung an kollektiven Prozessen, um zu verstehen, was darin für ein Geschenk entsteht. Es ist nicht nur ein Geschenk von Carlos und den Kindern an den Rollberg, sondern auch ein Geschenk für die Kinder - nämlich bei Carlos in die Lehre gegangen zu sein.

    Die Besonderheit des Mediums 'Wandbild' ist:

  • Wenn Sie Theater machen, werden dafür Häuser gebaut - die Öffentlichkeit ist nur noch halb-öffentlich.
  • Wenn Sie ein Konzert besuchen, so ist dieses nach ein bis zwei Stunden vorbei, auch wenn es laut war.
  • Auch Buchillustrationen und Gemälde sind nicht mit einem Wandbild vergleichbar, da man diese in die Privaträume mitnehmen kann.

  • In all diesen Fällen stellt man sich also nicht der stetigen Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit. Darin liegt diese ganz große, einmalige Tätigkeit, die alle Wandbildner kennen.
    Man muß .......
    - sich mit Eignern und Baugesellschaften wegen des Bereitstellens der Wände verständigen.
    - Kenntnisse über verschiedene Haftgründe haben, um ein solches Werk zu erstellen.
    - mit den Widersprüchen der Anwohner zurecht kommen.
    - mit den Konflikten, die in einem selbst ablaufen, zurecht kommen.
    Man braucht also einen immense psyschische Kraft, um ein solches Projekt durchzustehen. Wenn die Kinder Carlos in bestimmten Phasen nicht unterstützt hätten, mit ihren Ideen ihm selbst Mut gemacht hätten, wäre es sicherlich nicht so weit gekommen.

    Ein paar kurze Eindrücke, die ich von dem ganzen Wandbild habe. Die Themen wurden geschickt gewählt mit dem 'Paradies', der 'Arche' und dem 'Wal' - an alte Mythen geknüpft. Gleichzeitig steckt in diesen Mythen oder archetypischen Fragestellungen etwas, was alle Kulturen verbindet. Die Beteiligten können ihre jeweilig vorhandene Fantasie ausdrücken, d.h. ihre Gedanken selbst mit in die Bilder einbringen. Man kann also kollektiv zusammen mit den Kindern und den Bewohnern arbeiten, wenn deren Fantasie dabei eine Gültigkeit hat.

    An den Namen der Beteiligten wird schon ersichtlich, dass dies ein mulikulturelles Projekt ist. Auch anhand der Dimension von ca. 80 beteiligten Kindern und Jugendlichen kann man erahnen, dass Carlos dies ohne die Unterstützung der Regenbogenschule und Bequit nicht geschafft hätte. Denn der Künstler braucht natürlich auch Leute, die das Konzept pädagogisch mit tragen und sich im Viertel gut auskennen.

    Bedeutsam ist hierbei - es wird viel über Kinder und Gewalt, Jugendliche und Gewalt und über Integrationsprozesse gesprochen. Aus eigener Erfahrung kann ich sage, dass darüber viel theoretisiert wird. Was aber hier geschehen ist, ist ein Projekt der Praxis, der Integration und der Toleranz. Doch Toleranz will gelernt sein und es gibt kaum eine künstlerische Gestaltungsebene, wo diese Frage, tolerant zu sein, so durchdringt, wie wenn man gemeinsam an einem Wandbild arbeitet.

    Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass dies Wandbild das Rollberg-Viertel in seinem Selbstbewußtsein voranbringt und die Identität der Bewohner steigern kann. Wie ich gehört habe, soll das ja auch schon etwas der Fall gewesen sein.

    Vielen Dank an Carlos und alle Beteiligten, die für sich selbst etwas geschaffen haben, was ihre Zukunft begleiten wird.